abgedruckt in der Zeitschrift Fassade 2/96, Herausgeber Schweizerische Zentralstelle für Fenster- und Fassadenbau (SZFF)
Die Abschlussreise der Diplomanden 1995 des Lehrganges zum Projektleiterkurs SMU/SZFF führte in die europäische Fassadenmetropole London. Auf einer Exkursionsrundfahrt haben wir so bekannte Gebäude wie Vauxhall Cross (MI 6), Victoria Station, Royal Mint, Lloyds und die Docklands kennengelernt. Grosse Aufmerksamkeit schenkten wir aber dem in der Sanierung befindlichen NatWest Tower.
Im April 1993 sind in der Innenstadt von London durch ein Bombenattentat der IRA einige Gebäude zerstört worden. Das markanteste Hochhaus, der NatWest Tower, widerstand in seiner Grundstruktur der 1-Tonnen-Bombe recht gut. Besitzerin des Gebäudes ist die National Westminster Bank. Das zweithöchste britische Gebäude zeigt in seiner Grundform das dreiflüglige Firmenlogo der Bank.
Nach aussen hin war der Tower aber nur noch ein Schatten seiner selbst. Die Kraft der Bombe reichte aus, um im Zusammenhang mit der ungewöhnlichen Grundform über 2/3 der 182m hohen Fassade zu zerstören, insbesondere wurden 12.000 m2 Glasfläche zerstört. Die Druckwelle setzte sich über die 1,5 m dicken Betonwände in das Innere des Gebäudes fort. Die Zargen der Aufzugstüren und die abgehängten Decken wurden dadurch verformt.
Jetzt, nach 28 Monaten, wird das Meisterstück des Architekten Richard Seifert saniert. Der gesamte Innenbereich wird modernisiert. Insbesondere die Haustechnik, Heizung, Ventilation und die Lifte werden auf den neusten Stand der Technik gebracht. Die Geschosse erhalten einen neuen Doppelboden für die Elektro- und EDV-Verkabelung. Die bisher schlechte Ausnutzung der Büro-Grundfläche von 29.000 m2 wird um 9% (2.500 m2)verbessert. Dies wird im wesentlichen durch den Wegfall der Betonbrüstungen erreicht. Die neuen Heizkörper werden direkt an der Fassade angebracht.
Die Fassadenhülle wird nach der Fertigstellung etwas anders aussehen als bei der ersten Eröffnung im Jahre 1981. Durch den neuen Doppelboden ist in jedem Geschoss der horizontale untere Rahmen um 150 mm höher gesetzt worden. Die Paneele im Deckenstirnbereich erhöhen sich um dieses Mass. Ausserdem erhält der Eingangsbereich eine filigrane Stahlkonstruktion mit Silikon-Verglasung.
Die vertikale Betonung des Gebäudes wird durch Chromstahl-Lisenen erreicht. Bei der Überprüfung der bestehenden Bausubstanz wurde testgestellt, dass diese Elemente irreparabel sind und ersetzt werden müssen. Durch Geometer wurde das gesamte Gebäude überprüft; zerstörungsfreie Prüfungen ergaben, dass alle Betonfertigteile nach oben geschoben wurden. Die Unterkonstruktionen sind sichtbar geworden. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass der 183 m hohe Turm 21 mm aus dem Lot steht. Dieser an sich geringe Wert war nicht durch die Bombe verursacht worden. Somit stand einer weiteren Nutzung des Gebäudes nichts im Wege.
Die Stadtplaner und die Besitzerin des Gebäudes, die National Westminster Bank, waren sich einig, die neue Fassade in ihrem alten Erscheinungsbild wieder erstehen zu lassen. Alle Details wurden gemeinsam besprochen und von den Stadtplanern genehmigt.
Nach der Struktur- wurde eine Wertanalyse durchgeführt, um die Sanierung finanziell und logistisch in einer sinnvollen Weise abzuwickeln. Das grösste Problem war die Bewegung der Handwerker auf der Baustelle und die Masse der benötigten Materialien. In Spitzenzeiten würden bis zu 500 Arbeitskräfte erforderlich sein.
Die amerikanische Firma Beeche Systems Corporation wurde beauftragt, eine Montageplattform zu entwickeln. Die endgültige Ausführung besteht aus sechs einzelnen dreigeschossigen Segmenten pro Gebäudeflügel. Da es weder möglich war, einen Kran auf dem Gebäude zu installieren, noch ein Autokran von unten heraufgereicht hätte, wurden die Elemente am Boden zusammengebaut und an Seilwinden nach oben gezogen. In der Montagezeit können die Plattformen je Gebäudeflügel separat in der Höhe verschoben werden. Zur Belieferung der Plattformen und Geschosse wurden sechs Lastenaufzüge mit einer Kapazität von jeweils 3 Tonnen installiert. Jeder der Aufzüge wurde am oberen Mastende mit einem Windmessgerät ausgerüstet. Bei 70 km/h Windgeschwindigkeit wird der Liftbetrieb eingestellt. Diese und andere Wetterbedingungen führen erfahrungsgemäss zu 25% Ausfallzeiten. Mit Wochenend- und 2-Schicht-Betrieb wird dieser Zeitverlust kompensiert.
Die Logistik erfordert eine Montage im Uhrzeigersinn von oben nach unten. Im Rhythmus von drei Tagen werden auf den drei Geschossen der Montagebühnen die verschiedenen Arbeitsgänge gleichzeitig durchgeführt. Angefangen wird mit der Demontage der zerstörten Fassade im unteren Stockwerk der Bühne, wobei der Fassadenbereich zum Innenraum zusätzlich abgeschottet wird. Erst jetzt können die vorhandenen Brandschutzelemente aus Asbest entsorgt werden. Im mittleren Bühnenbereich wird die gesamte Unterkonstruktion erneuert, abschliessend werden in der oberen Ebene die neuen geschosshohen Fassadenelemente montiert.
Während der Innensanierung wurde mit der Produktion der Fensterelemente bei der Schmidlin AG in Aesch/BL begonnen. Im Anschluss an den Transport der fertigverglasten Elemente nach London werden diese im Gebäude gelagert. Mittels einer speziell entwickelten Sauganlage werden sie millimeter-genau positioniert und an Stahl-Gussteilen aufgehängt.
Durch das oben beschriebene Montagekonzept und die technische Überlegenheit konnte sich Schmidlin im harten Wettbewerb gegenüber dem Hersteller der Originalfassade, Critall Construction, durchsetzen. Die bauphysikalischen Anforderungen bei der Wärmedämmung fanden wenig Berücksichtigung. Schon im Jahre 1981 verursachte die Ausführung der Fassade mit Einfachglas von 10 bis 12 mm Stärke Skepsis bei den Fachleuten, da das gleichbedeutend ist mit einer sehr grossen Fassadenfläche ohne jegliche Wärmedämmung. Die heutige Ausführung in 2-Scheiben-Isolierglas mit einem k-Wert von 2,9W/m2 K löst nach Schweizer Massstäben wiederum Verwunderung aus. Unter normalen Umständen wird bei Gebäuden dieser Grössenordnung mindestens ein k-Wert von <1,3W/m2 K verlangt, wenn nicht sogar vorgeschrieben.
Auch wenn die wärmetechnischen Bedingungen nicht überzeugen, so sind die Ansprüche an die Sicherheit gestiegen. Bei einer 1.000-Kilogramm-Bombe TNT in 100 m Abstand darf das Glas nicht in den Raum fliegen und die Bewohner verletzen. Dies wird durch Verbundsicherheitsglas und einen tiefen Glaseinstand von 30 mm erreicht. Dadurch kann das Glas zwar zerstört werden und es biegt sich durch, es fällt aber nicht aus dem Glasfalz. Zusätzlich ist das Glas auf der inneren Seite mit 2-K-Silikon am Rahmen verklebt. Die Rahmenprofile sind extra verstärkt, um die Last sicher in den Rohbau abzuleiten. Die Montage dauert elf Monate und wird im Juli 1996 beendet sein.
Wenn der NatWest Tower dann im nächsten Jahr in neuem Glanz erstrahlt, wirkt er auf Spaziergänger oder Geschäftsleute der Londoner City nur wie «neu gereinigt».